Die eine Fahrerin fährt rückwärts von ihrem Grundstück auf dem Privatweg in Richtung Straße. Die andere Fahrerin fährt rückwärts aus ihrem Grundstück spitzwinkelig auf denselben Privatweg, der ausschließlich zur Erschließung dieser beiden Grundstücke führt. Wegen des Zauns und der Hecken sieht die zweite Fahrerin die erste Fahrerin erst in letzter Sekunde, bleibt noch stehen und hupt – zu spät, es kracht.
Die Versicherung der ersten Fahrerin zahlt 50 % des der zweiten Fahrerin entstandenen Schadens. die will aber 100 % und klagt, erst vor dem Amtsgericht Merzig, Zweigstelle Wadern und, als sie dort nicht ihr vermeintliches Recht bekommt, in der Berufung vor dem Landgericht Saarbrücken. Aber auch das will ihr nicht mehr zugestehen.
Zunächst führt das Landgericht aus, dass bei beiden eine Haftung gemäß § 7 StVG und 17 StVG gegeben ist. Vor allem stellt der Unfall für die zweite Fahrerin nach Auffassung der Richter kein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG dar. Sie habe nicht dargelegt oder zumindest nicht beweisen können, dass sie sich in die unübersichtliche Ausfahrt äußerst sorgfältig und unter Hinzuziehung eines Einweisers hineingetastet oder bei Erkennen des anderen Fahrzeuges Warnzeichen gegeben hätte. Da sie für das Vorliegen eines für sie unabwendbaren Ereignisses darlegungs- und beweispflichtig ist, geht dies zu ihren Lasten.
Ein Verschulden der ersten Fahrerin stellen die Richter fest. Es handele sich hier um einen Privatweg, der ausschließlich der Erschließung dieser beiden Grundstücke dient. Daher sei zweifelhaft, ob sich eine Haftung der ersten Fahrerin unmittelbar aus § 9 Abs. 5StVO ergebe, da es sich nicht um öffentlichen Verkehrsraum handele und der Weg nur dem Zugang zum ruhenden Verkehr dient. Deshalb sei hier mehr an die Pflichten wie auf einem Parkplatz zu denken. Hier müsse immer mit rückwärts fahrenden Fahrzeugen gerechnet werden und die dem rückwärts Fahrenden auferlegte Gefährdungshaftung sei daher nur eingeschränkt anwendbar.
Letztlich hat die Kammer diese Frage aber dahinstehen lassen, da auf jeden Fall der rückwärts fahrende verpflichtet ist, besondere Vorsicht (wohl eher Rücksicht) walten lassen muss. Die erste Fahrerin sei nicht mit der gebotenen Aufmerksamkeit gefahren, da sie das Fahrzeug der zweiten Fahrerin erst bei dem Anstoß bemerkt habe.
Aber auch die andere Fahrerin trifft nach Auffassung des Landgerichts ein nicht weniger gravierender Sorgfaltsverstoß. Es sei zwar zweifelhaft, ob ihr ein Verstoß gegen ihre Sorgfaltspflicht beim Rückwärtsfahren angelastet werden könne, da sie ja vor dem Zusammenstoß angehalten habe. Für den fließenden Verkehr stellt sich ein rückwärts fahrendes Fahrzeug stets als potentielles Hindernis dar, mit dem nicht gerechnet werden muss. Bei einem Unfall, der sich im unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit der Rückwärtsbewegung eines Fahrzeuges erfolgt, kann daher typischerweise davon ausgegangen werden, dass sich die Gefahr des Rückwärtsfahrens realisiert hat und deshalb ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Rückwärtsfahrenden spricht, auch wenn dieser kurz vor der Kollision noch angehalten hatte. Ob dies auch auf einem ausschließlich der Erschließung des ruhenden Verkehrs dienenden Privatweg oder auf einem Parkplatz gilt, ist zweifelhaft.
Aber auch das kann nach Auffassung der saarbrücker Richter dahinstehen, da sich eine besondere Rücksichtspflicht der zweiten Fahrerin aus dem Gedanken des § 10 StVO ergebe. Hier bestand die Besonderheit, dass die Sicht der Klägerin bei Einfahren in den Zufahrtsweg aufgrund einer Hecke und eines Zaunes, aber auch aufgrund des spitzen Einfahrwinkels stark eingeschränkt war, so dass sie – auch wenn sie vorwärts gefahren wäre – ein vom hinteren Grundstück herannahendes Fahrzeug erst im letzten Augenblick erkennen konnte. Sie hätte jedenfalls sicherstellen müssen, dass sie in den Fahrweg nur dann einfuhr, wenn eine Gefährdung eines etwaig herannahenden Fahrzeuges damit ausgeschlossen war.
Angesichts dieser beidseitigen Verschuldensanteile hielt das Landgericht eine hälftige Schadensteilung für gerechtfertigt.
Fundstelle: Landgericht Saarbrücken, Urteil vom 12.2.2010, 13 S 239/09
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