Einer der Kernpunkte der Mediation ist, dass die Beteiligten mit Hilfe des Mediators nicht nur Positionen diskutieren, sondern die dahinter stehenden Interessen darlegen. Hierdurch wird der weg für eine Interessengerechte Win-Win-Lösung geebnet.
Was ist der Unterschied zwischen Position und Interesse? Ein Beispiel soll den Unterschied verdeutlichen (ich kann es selbst schon nicht mehr hören, so oft habe ich es schon erzählt): Zwei Schwestern streiten sich um die letzte im Haus vorhandene Apfelsine (Es ist Sonntag und der Kauf einer zweiten Apfelsine ist daher nicht möglich). Bleibt man bei den Positionen „Ich will die Apfelsine haben“, so kommt letztlich nur ein Kompromiss in Betracht: Jede der Schwestern erhält die Hälfte der Apfelsine. Nun stellt sich heraus, dass die eine Schwester die Apfelsine benötigte, um Orangensaft zu pressen, während die andere Schwester Apfelsinenschale für einen Kuchen benötigte. Hätte man daher nach den Interessen gefragt (hier: „Ich brauche die Apfelsine zum Pressen von Orangensaft“ und dort: „Ich brauche die Apfelsine, um ein wenig Schale für den Kuchen abzureiben“), hätte jede ihr Interesse befriedigen können, ohne der anderen Schwester ins Gehege zu kommen.
Dies ist sicherlich ein Idealfall. Aber auch im Rahmen einer Trennungs- und Scheidungsmediation ist die Frage nach den hinter den Positionen stehenden Interessen sinnvoll, um zu sinnvollen Verhandlungen zu kommen und nicht ins intuitive Feilschen zu geraten. Zum Beispiel verbergen sich hinter den Unterhaltsforderungen oft ganze Motivbündel, die einer sinnvollen Einigung im Weg stehen. Sicherlich ist das erste hinter den Unterhaltsforderungen stehende Interesse die Sicherung der eigenen Existenz (ein Interesse, das auch hinter der Position des Unterhaltsschuldners steht). Oft ist die Unterhaltsforderung aber auch der Wunsch nach Ausgleich von zuvor im Rahmen der Ehe und der Trennung erlebtes Unrecht und Verletzungen („Der soll bluten!“). Es geht aber auch um die Angst vor Unsicherheiten in der Zukunft. Natürlich wollen die Beteiligten auch möglichst wenig Einschnitte in ihren bisherigen Lebensstandard. Streitet man nun nur um die Fragen der Düsseldorfer Tabelle, welches Einkommen hat der Unterhaltsschuldner, was kann unterhaltsrechtlich abgezogen werden und vieles mehr, bleibt es letztlich beim Feilschen.
Anders ist es, wenn die Interessen geäußert werden und auch zum Gegenstand der Verhandlung gemacht werden. Man kann zum Beispiel die Beteiligten einmal einen Haushaltsplan aufstellen lassen. Hier kann dann der jeweilige Bedarf anhand nachprüfbarer Zahlen ermittelt werden. Reicht das Einkommen zur Deckung des jeweiligen Bedarfs (selten), so kann über die Verteilung des überschießenden Betrages diskutiert werden. Reicht das beiderseitige Einkommen nicht aus (das ist die Regel), kann darüber verhandelt werden, wie das Einkommen erhöht werden kann oder welche Ausgaben gekürzt werden müssen. So können interessengerechte Lösungen gefunden werden, bei denen die Beteiligten auch sehen, dass der gezahlte Unterhalt durchaus nicht zum Luxusleben des Unterhaltsberechtigten reicht und auch dem Unterhaltsschuldner ein ausschweifendes Leben nicht möglich ist.
Auch wenn nicht immer aufgrund der hinter den Positionen stehenden Interessen eine hundertprozentige Win-Win-Lösung möglich ist, ebnet das Benennen von Interessen doch den Weg für eine interessengerechte Kompromisslösung.
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