Durch die Webseite der Mediatorenkollegin Julia Wiese bin ich auf einen bereits 1996 erstmals in der JuS veröffentlichten Artikel des mittlerweile emeritierten Professors Johann Braun aus Passau aufmerksam geworden. Er hat überzeugend dargelegt warum Juristen bei Nichtjuristen so unbeliebt sind.
Seine Analyse führt zu 5 hauptsächlichen Ursachen:
1. Rechtliche Belehrung ist demütigend
Mit jeder rechtlichen Belehrung wird der Belehrte zugleich auf subtile Weise verletzt (das gilt allerdings meiner Meinung nach für jede Belehrung). Jeder Mensch ist, so Braun, von Haus aus ein geborener Rechthaber. Bereits der leiseste Versuch, einen anderen rechtlich zu belehren hat daher etwas demütigendes, weil man damit in die Nähe der Dummheit gerückt wird. Nun sind solche Belehrungen aber die Domäne der Juristen. Braun führt aus: Auf manche Gemüter wirkt daher die bloße Existenz eines Juristen wie ein rotes Tuch. Sie fühlen sich dadurch kontrolliert, kritisiert und korrigiert auf ihrem ureigensten Feld, nämlich dem Besserwissen.
2. Die juristische Fachsprache entrechtet den Laien
Jede Profession hat ihre Fachsprache, so auch die Juristen. Über die juristische Fachsprache ärgern sich aber die anderen, weil damit Dinge verhandelt werden, die alle angehen. Zudem pflegen die Juristen ihren Fachjargon, indem auch in den Gesetzen kaum verständliche Formulierungen benutzt werden. Zitat: § 10 II 2 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes von 1992 lautet z. B. so: „AlsSonderausgaben können Beiträge zu Versicherungen im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb, cc, dd nicht abgezogen werden, wenn die Ansprüche aus Versicherungsverträgen während deren Dauer im Erlebensfall der Tilgung oder Sicherung eines Darlehens dienen, dessen Finanzierungskosten Betriebsausgaben oder Werbungskosten sind, es sei denn, das Darlehen dient unmittelbar und ausschließlich der Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsgutes, das dauernd zur Erzielung von Einkünften bestimmt und keine Forderung ist, und die ganz oder zum Teil zur Tilgung oder Sicherung verwendeten Ansprüche aus Versicherungsverträgen übersteigen nicht die mit dem Darlehen finanzierten Anschaffungs- oder Herstellungskosten …“ – ich breche ab, obwohl der Satz noch lange nicht zu Ende ist. In Deutschland werdensolche Vorschriften nicht etwa für verfassungswidrig erklärt.
3. Die juristische Erfolgsrate entspricht dem Zufall
Da in einem Prozess einer gewinnt und einer verliert (oder einer teilweise gewinnt und der andere zu gleichen Teilen verliert) entspricht das genau der nach dem Zufallsprinzip zu erwartenden Wahrscheinlichkeit. Dies fällt zwangsweise auf die Juristen zurück, so Braun. Weiter: Wenn man daran dieselben Maßstäbe anlegt, mit denen die Mediziner gemessen werden, müsste man sagen, daß die Juristen gleichsam mit einer Mortalitätsrate von 50% operieren. Das ist für die Reputation nicht sehr günstig.
Für den Laien ist auch schwer zu verstehen, dass Recht nicht mit mathematischer Genauigkeit vorhersagbar ist. Besteht daher eine Unsicherheit, so fällt das auf die Juristen zurück, weil das Recht natürlich für den Laien eindeutig ist.
4. Juristen müssen sich gegenseitig beschuldigen
Die Logik des Rechts besteht darin, dass immer nur einer Recht haben kann und der andere Unrecht. Das zwingt die Juristen dazu, sich gegenseitig in Misskredit zu bringen. Braun: Je mehr dieLeute von ihrem Recht überzeugt sind, desto häufiger wird prozessiert. Je mehr Prozesse geführt werden, desto mehr gehen verloren. Je mehr Prozessverlierer es gibt, desto unbeliebter werden die Richter. Die Ausuferung des Aufgaben- und Wirkungsbereiches der Justiz geht daher Hand in Hand mit einem Ansehensverlust der Juristen.
5. Der Jurist vertritt das kälteste aller Ungeheuer
Juristen werden als Hauptvertreter des Staates angesehen, da sie als Richter, Staatsanwalt, Verwaltungsbeamter, Notar etc. tätig sind. Selbst der Anwalt ist Organ der Rechtspflege und damit in das staatliche Tun integriert. Zum Staat haben aber die meisten ein recht distanziertes Verhältnis. Nietzsche hat den Staat als „das kälteste aller kalten Ungeheuer“ bezeichnet. Das färbt auf die Juristen ab. Kälte ist nach Braun auch das Kennzeichen der Juristen. Der Jurist beleuchtet alles und erwärmt nichts. Kälte wird mit Kälte begegnet.
Braun gibt den Juristen gleich drei Kompensationsstrategien mit auf den Weg:
1. Gleiches mit Gleichem vergelten
2. Sich zu seinesgleichen gesellen
3. Seine Pflicht erfüllen
Also liebe Juristenkolleginnen und -kollegen, jetzt wissen wir wenigstens, warum wir so unbeliebt sind. >Da immer mehr Juristen ausgebildet werden, desto mehr Anlässe, sich über Juristen zu ärgern und desto unbelibter werden die Juristen. Das ist dann die Unbeliebtheitsspirale.
Noch ein Grund: Juristen haben den Streit zu ihrem Beruf gemacht. Sie verdienen Geld, wenn prozessiert wird, wenn man sich gütlich einigt, weniger. Deshalb neigen viele Juristen dazu, wenig versöhnlich zu sein.
Ein Ausweg aus der Unbeliebtheitsspirale wäre es, Gesetze verständlich und in den meisten Fällen eindeutig zu formulieren.
Dann könnten JuristInnen direkt sagen „diesen Fall gewinnen wir. Ich kann zwischen X und Y rausholen, je nachdem, wie gut es läuft“ oder „diesen Fall können wir nicht gewinnen. Ich kann nur versuchen, die Kosten möglichst niedrig zu halten“.
Und sie wären auch aus der Besserwisserei raus: Der Laie sieht, was das Gesetz grundlegend sagt. Der Jurist versteht die Details.
Als Analogie: Der Laie sieht, dass der Stein runterfällt. Der Ingenieur berechnet, wie schnell. Der Physiker berechnet warum und wo. Am Ende hat der Laie in seinem Lebensraum immernoch recht.
Im Juristischen Bereich ist das bisher anders: Der Laie sagt, der Stein fällt runter. Der Jurist antwortet ihm „Nein. Er wird dir ins Gesicht springen“. Der Jurist hat am Ende recht, weil das Recht irgendeine kleine Ausnahmeregelung definiert hat.
Das ist, als hätten wir auf der Erde überall kleine Gravitationsanomalien, durch die unsere Grundannahmen plötzlich nicht mehr gelten, wenn wir einen halben Zentimeter nach links gehen – oder eine Zitrone in der Hand halten, während wir uns mit der anderen Hand an der Nase kratzen.
@ Arne
zur juristischen Sprache eine Anekdote zum ZGB der DDR unter http://www.ra-haensch.de/php/wordpress/?p=1060#comment-375