In dieser Geschichte veranschauliche ich gerne den Begriff der Allparteilichkeit im Kontext eines Mediations-Einführungsgesprächs. Ein Mediator würde natürlich keiner Partei explizit zustimmen. Doch diese Erzählung verdeutlicht eindrucksvoll, dass ein Mediator bestrebt ist, die Perspektiven der beteiligten Parteien nachzuvollziehen und zu verstehen.
Die Geschichte offenbart jedoch noch einen weiteren wichtigen Aspekt. Mediation basiert auf systemischem Denken und Konstruktivismus. Jede Schilderung von Menschen geschieht aus der Perspektive eines Beobachters. Unsere Wahrnehmung ist lediglich ein begrenzter Ausschnitt der Realität, auf den wir unsere Aufmerksamkeit lenken. Selbst dieser wird vom Gehirn gefiltert, sodass nur ein Bruchteil dessen, was unsere Sinnesorgane erfassen, tatsächlich im Kurz- oder Langzeitgedächtnis gespeichert wird.
In der Erzählung schildern beide Nachbarn ihre wahrgenommene Realität. Daher ist Nasreddins Aussage „Du hast recht“ korrekt.
Da jeder Mediant unbewusst zum Konstrukteur seiner eigenen Wirklichkeit wird, liegt es in der Verantwortung des Mediators, den Medianden den Unterschied zwischen Sichtweise und Informationen bewusst zu machen. Unter Informationen verstehe ich im Mediationskontext zunächst die Wirklichkeiten erster Ordnung nach Watzlawick – faktische Abläufe und objektiv unbestreitbare Tatsachen, die uns von unseren Sinnesorganen vermittelt werden, vorausgesetzt, unser Zentralnervensystem funktioniert normal. Darüber hinaus umfassen Informationen im Mediationskontext auch alles, worüber sich die Medianden einig sind. Während der Mediation markiere ich dies entsprechend bei der Visualisierung.
Im Gegensatz dazu stehen die Sichtweisen, die subjektiven Wahrnehmungen inklusive Bewertungen und subjektiven Erklärungen. Diese markiere ich ebenfalls während der Visualisierung. Dadurch wird den Medianden oft bewusst, dass es wenig zielführend ist, über unterschiedliche Wahrnehmungen zu streiten.
Kommentar verfassen