Zielklärung in der Mediation – Warum sie so entscheidend ist und wie sie gelingt
In der Mediation gibt es einen Moment, der oft unterschätzt wird und doch den gesamten Verlauf des Verfahrens prägt: die Zielklärung. Sie ist der Kompass, der bestimmt, wohin die gemeinsame Reise führt – und ob sie überhaupt in konstruktive Bahnen gelenkt werden kann.
Doch Zielklärung bedeutet nicht, dass Mediand:innen zu Beginn bereits wissen müssen, wie das Problem gelöst werden soll. Im Gegenteil: Eine gute Zielklärung schafft zuerst Orientierung, nicht Ergebnisse.
In diesem Artikel zeige ich, warum Zielklärung so wichtig ist, wie sie professionell durchgeführt wird und welche Fehler man unbedingt vermeiden sollte.
Warum Zielklärung in der Mediation unverzichtbar ist
Konflikte sind häufig von Chaos, emotionaler Überlastung und gegenseitigen Schuldzuweisungen geprägt. Die Beteiligten blicken rückwärts auf das Problem – nicht vorwärts auf die Lösung.
Die Zielklärung hilft hier auf mehreren Ebenen:
1. Orientierung statt Überforderung
Die Parteien erfahren: Mediation ist ein strukturierter Prozess.
Bevor wir „ins Gespräch einsteigen“, legen wir fest, wohin wir gehen wollen.
2. Fokus auf die Zukunft statt auf die Vergangenheit
Zielklärung lenkt die Aufmerksamkeit auf Veränderung, nicht auf Schuld.
3. Sicherheit und Erwartungsklarheit
Viele Menschen wissen zu Beginn gar nicht, was Mediation leisten kann – und was nicht.
Eine klare Zielklärung schützt vor Missverständnissen und Enttäuschungen.
4. Aktivierung von Ressourcen
Schon die Frage nach einer erwünschten Veränderung holt Menschen aus der Konflikttrance und führt sie in eine lösungsorientierte Haltung.
Wie Zielklärung am Beginn der Mediation erfolgt
Zu Beginn der Mediation geht es nicht darum, Inhalte zu klären. Zielklärung am Anfang bedeutet nicht „Welche Lösung wollen Sie erreichen?“, sondern:
„Woran würden Sie merken, dass die Mediation für Sie hilfreich war?“
Diese Frage ist bewusst inhaltsfrei – und dennoch hochwirksam.
Sie hilft den Mediand:innen, sich auf eine Veränderungsqualität zu konzentrieren:
mehr Ruhe, wieder kommunizieren können, Klarheit gewinnen, Orientierung finden, Sicherheit, Struktur, Respekt im Umgang etc.
Das schafft eine gemeinsame Ausgangsbasis, selbst wenn die inhaltlichen Ziele noch völlig unterschiedlich sind.
Beispiele für inhaltsfreie Veränderungsziele:
-
„Ich möchte wieder normal mit der anderen Person sprechen können.“
-
„Ich will mich nicht mehr so hilflos fühlen.“
-
„Ich brauche Klarheit darüber, wie es weitergehen kann.“
-
„Ich wünsche mir eine Atmosphäre, in der wir uns gegenseitig zuhören.“
Solche Ziele geben der Mediation Richtung, ohne der Lösung vorzugreifen.
Zielklärung nach der Themensammlung
Nachdem klar ist, worum es inhaltlich geht, folgt die zweite Ebene der Zielklärung:
Welche Themen sollen heute behandelt werden? Welche Prioritäten gibt es? Welche Zwischenschritte sind sinnvoll?
Hier wird das Ziel operationalisiert, aber noch nicht gelöst.
Zielklärung nach der Interessenklärung
Sobald die Mediand:innen erfahren haben, was hinter ihren Positionen steckt, kann ein gemeinsames Zielbild entstehen:
-
„Wir möchten eine Lösung finden, die beiden Seiten Planbarkeit gibt.“
-
„Wir möchten eine Regelung, die die Belastung für alle Beteiligten reduziert.“
-
„Wir möchten ein Miteinander, das für beide respektvoll gestaltbar ist.“
Erst jetzt beginnt die eigentliche Lösungsphase.
Was Zielklärung nicht ist
Viele Mediand:innen antworten am Anfang:
-
„Ich will, dass er endlich …“
-
„Sie soll aufhören mit …“
-
„Das Ziel ist, dass wir die Termine klären.“
Das sind bereits Inhalte, Positionen oder Forderungen – und gehören nicht in die Zielklärung am Anfang.
Hier hilft ein professionelles Reframing:
„Ich höre, dass Ordnung/Respekt/Verlässlichkeit wichtig für Sie ist.
Woran würden Sie in der Zukunft merken, dass dieses Bedürfnis erfüllt ist?“
So entsteht ein qualitatives Ziel, kein Streitpunkt.
Die häufigsten Fehler bei der Zielklärung
-
Zu früh über Inhalte sprechen
→ führt schnell zu Eskalation. -
Nur eine Seite nach Zielen fragen
→ erzeugt Asymmetrie und Misstrauen. -
Abstrakte Ziele einfach stehen lassen
„Wir wollen besser kommunizieren.“
→ besser konkretisieren: „Wie genau wäre das spürbar?“ -
Ziele der Mediand:innen mit Zielen des Mediators verwechseln
Der Mediator hat nur Verfahrensziele, keine inhaltlichen. -
Zielklärung überspringen
→ führt zu Unklarheit, Abbrüchen und ineffektiven Sitzungen.
Warum die inhaltsfreie Zielklärung so gut funktioniert
Psychologisch wirkt sie wie ein „Reboot“:
Die Beteiligten richten ihre Aufmerksamkeit auf das, was möglich ist – nicht auf das, was festgefahren ist.
Hypnosystemisch gesprochen wird eine Zukunftstrance aktiviert, die den Raum für Lösungen öffnet.
Systemisch gesprochen werden neue Differenzen gebildet: ein Bild der Zukunft statt ein Bild des Problems.
Fazit: Zielklärung ist der Wegweiser der Mediation
Eine gute Zielklärung ist kein „Nice-to-Have“ – sie ist ein unerlässlicher Prozessschritt, der die Mediation trägt.
Sie schafft Orientierung, Sicherheit und eine gemeinsame Ausrichtung.
Sie verhindert, dass die Diskussion zu früh in Inhalte abgleitet.
Und sie aktiviert genau die Ressourcen, die später für Lösungen gebraucht werden.
Wer Zielklärung sauber durchführt, legt den Grundstein für eine erfolgreiche Mediation.


