Mediation in Deutschland: Warum sie trotz gesetzlicher Anerkennung noch zu selten genutzt wird

Mediation in Deutschland: Warum sie trotz gesetzlicher Anerkennung noch zu selten genutzt wird

Stand, Nutzung und Perspektiven der Mediation in Deutschland (Ende 2025)

Mediation gilt in Deutschland als bewährtes Verfahren zur außergerichtlichen Konfliktlösung. Sie ist gesetzlich geregelt, fachlich fundiert und gesellschaftlich anerkannt. Dennoch zeigt sich in der Praxis ein auffälliger Widerspruch: Mediation wird deutlich seltener genutzt, als es ihr Potenzial vermuten ließe.

Dieser Beitrag beleuchtet den aktuellen Stand der Mediation in Deutschland, analysiert die tatsächliche Inanspruchnahme – insbesondere im Vergleich zu Gerichtsverfahren – und geht der Frage nach, was geschehen müsste, damit Mediation in Deutschland stärker zur Geltung kommt.


1. Mediation in Deutschland: Rechtlich etabliert, praktisch unterrepräsentiert

Seit dem Inkrafttreten des Mediationsgesetzes im Jahr 2012 ist Mediation in Deutschland rechtlich klar verankert. Sie wird dort definiert als freiwilliges, vertrauliches Verfahren, bei dem die Parteien eigenverantwortlich mit Unterstützung einer neutralen dritten Person Lösungen erarbeiten.

Mit der Verordnung über die Aus- und Fortbildung zertifizierter Mediator:innen wurden zudem verbindliche Qualitätsstandards geschaffen. Aus rechtlicher Sicht ist Mediation damit gut abgesichert und anerkannt.

Gleichzeitig zeigen empirische Studien und Praxisberichte:

  • Die Zahl tatsächlich durchgeführter Mediationen ist im Verhältnis zu gesellschaftlichen und gerichtlichen Konflikten sehr gering.

  • Viele ausgebildete Mediator:innen führen nur wenige Mediationen pro Jahr durch.

  • Mediation ist trotz hoher Bekanntheit kein Standardinstrument der Konfliktbearbeitung.

Damit entsteht ein paradoxes Bild: Mediation wird positiv bewertet – aber selten gewählt.


2. Wie häufig wird Mediation tatsächlich in Anspruch genommen?

Konkrete bundesweite Statistiken zur Mediation existieren nur eingeschränkt. Die vorliegenden Erhebungen lassen jedoch eine klare Tendenz erkennen:

  • Die geschätzte Gesamtzahl von Mediationsverfahren pro Jahr liegt deutlich unter der Zahl gerichtlicher Zivilverfahren.

  • Millionen von Zivilverfahren stehen einer vergleichsweise kleinen Zahl von Mediationen gegenüber.

  • Der Anteil der Mediation an der gesamten Konfliktbearbeitung bleibt im niedrigen einstelligen Prozentbereich.

Besonders auffällig ist die Fragmentierung des Marktes: Viele Mediator:innen sind gut ausgebildet, aber nur selten praktisch tätig. Mediation bleibt für viele eine Nebentätigkeit – nicht, weil sie unwirksam wäre, sondern weil die Nachfrage begrenzt ist.


3. Der Güterichter: Mediation im Gerichtsverfahren – mit geringer Nutzung

Ein aufschlussreiches Beispiel für die strukturelle Zurückhaltung gegenüber Mediation ist der sogenannte Güterichter (§ 278 Abs. 5 ZPO). Gerichte können Verfahren an einen Güterichter abgeben, der ohne Entscheidungsbefugnis alle Methoden der Konfliktbeilegung, einschließlich Mediation, einsetzen darf.

In der Praxis zeigt sich:

  • Nur ein sehr kleiner Teil der Zivilverfahren wird an Güterichter abgegeben.

  • Die Nutzung ist stark abhängig vom Engagement einzelner Richter:innen.

  • In vielen Gerichten spielt der Güterichter faktisch keine Rolle.

Dort jedoch, wo Güterichterverfahren stattfinden, berichten Beteiligte häufig von:

  • hohen Einigungsquoten,

  • hoher Zufriedenheit,

  • nachhaltigeren Lösungen im Vergleich zu Urteilen.

Das Problem liegt also nicht in der Qualität, sondern in der geringen institutionellen Nutzung.


4. Mediation kommt oft zu spät

Ein zentrales Hemmnis für die Nutzung von Mediation ist der Zeitpunkt, zu dem sie vorgeschlagen wird. Häufig wird Mediation erst dann in Betracht gezogen, wenn:

  • Positionen bereits stark verhärtet sind,

  • erhebliche Kosten entstanden sind,

  • die Parteien innerlich auf einen gerichtlichen Sieg oder eine Niederlage eingestellt sind.

Mediation wirkt jedoch am besten frühzeitig, bevor Konflikte eskalieren und sich in rechtliche Positionen verfestigen. Wird Mediation erst spät angeboten, konkurriert sie nicht mehr mit dem Konflikt, sondern mit der Erwartung eines Urteils.


5. Fehlende Anreize: Warum Freiwilligkeit allein nicht genügt

Mediation ist freiwillig – Gerichtsverfahren sind es faktisch oft nicht. Zudem sind Gerichtsverfahren für viele Beteiligte:

  • institutionell klarer strukturiert,

  • wirtschaftlich kalkulierbarer,

  • sozial vertrauter.

Solange Mediation keine spürbaren Anreize bietet, bleibt sie eine Option unter vielen. Denkbar wären unter anderem:

  • echte Kostenanreize bei frühzeitiger Mediation,

  • stärkere Einbindung von Rechtsschutzversicherungen,

  • verbindliche Konfliktklärungsstufen in Organisationen und Verwaltungen.

Verhaltensänderungen entstehen selten allein durch Einsicht, sondern durch veränderte Rahmenbedingungen.


6. Die Rolle der Anwält:innen bei der Nutzung von Mediation

Anwält:innen nehmen im Konfliktgeschehen eine Schlüsselrolle ein. Sie prägen maßgeblich, ob ein Konflikt kooperativ oder konfrontativ bearbeitet wird.

Solange Mediation in der anwaltlichen Praxis:

  • als Zusatzqualifikation,

  • als wirtschaftlich unsicher,

  • oder als „weich“ wahrgenommen wird,

bleibt ihr Einfluss begrenzt. Eine stärkere Integration mediativer Kompetenzen in die juristische Ausbildung, neue Vergütungsmodelle und kooperative Verfahren könnten hier entscheidend sein.

Ohne die aktive Einbindung der Anwaltschaft wird Mediation kein selbstverständlicher Bestandteil der Konfliktbearbeitung.


7. Qualität sichtbar machen und Mediation verständlich erklären

Ein weiteres Hindernis liegt in der Außenwahrnehmung. Für viele Menschen ist unklar, was Mediation konkret leistet und worin sie sich von einem „klärenden Gespräch“ unterscheidet.

Vertrauen entsteht nicht durch Titel allein, sondern durch:

  • transparente Darstellung des Mediationsprozesses,

  • realistisches Erwartungsmanagement,

  • klare Spezialisierungen.

Mediation gewinnt dort an Akzeptanz, wo sie verständlich, nachvollziehbar und professionell kommuniziert wird.


8. Mediation als Teil einer modernen Konfliktkultur

Langfristig stellt sich die Frage, ob Mediation weiterhin als Sonderverfahren betrachtet wird oder als gesellschaftliche Schlüsselkompetenz.

Konflikte sind normal. Die Fähigkeit, mit ihnen konstruktiv umzugehen, ist zentral für Familien, Organisationen und Gesellschaften. Dazu braucht es:

  • frühe Bildungsangebote,

  • eine veränderte öffentliche Erzählung über Konflikte,

  • und eine sichtbarere Unterstützung durch staatliche Akteure wie das Bundesministerium der Justiz – nicht nur rechtlich, sondern auch kommunikativ.


Fazit: Mediation in Deutschland – anerkannt, aber noch nicht ausgeschöpft

Mediation wird Gerichtsverfahren nicht ersetzen. Aber sie könnte:

  • früher eingesetzt werden,

  • systematischer vorgeschlagen werden,

  • institutionell stärker verankert sein,

  • kulturell selbstverständlicher werden.

Der derzeitige Zustand ist kein Scheitern der Mediation, sondern Ausdruck eines noch nicht abgeschlossenen Kulturwandels. Die Instrumente sind vorhanden, die Erfahrungen liegen vor. Was fehlt, ist der konsequente Schritt von der Anerkennung zur Anwendung.

Mediation hat ihren Platz in Deutschland gefunden – ihre Wirkung jedoch noch nicht voll entfaltet.

Gerfried Braune

Assessor jur. & zertifizierter Mediator Ringstr, 49, 66130 Saarbrücken, Telefon +49 6893 986047 Fax +49 6893 986049, Mobil +49 151 40 77 6556

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