Konfliktrance – Wenn der Konflikt das Denken übernimmt
Plötzlich ist alles anders. Aus einer kleinen Meinungsverschiedenheit wird ein erbitterter Streit. Die Fronten verhärten sich, das Gegenüber wird zum Gegner. Am Ende fragen sich alle Beteiligten: Wie konnte das so eskalieren?
Was hier passiert, ist nicht selten und nicht ungewöhnlich. In der Mediation sprechen wir in solchen Fällen oft von Konfliktrance: einem Zustand, in dem der Konflikt das Denken, Fühlen und Handeln der Beteiligten dominiert. In diesem Beitrag zeige ich, was Konfliktrance ist, wie sie entsteht und warum es so schwer ist, ihr zu entkommen – aber auch, wie Mediation helfen kann, diesen Zustand zu überwinden.
Der Begriff Konfliktrance beschreibt einen Zustand geistiger Fixierung: Die Aufmerksamkeit verengt sich auf den Konflikt und das Gegenüber. Es ist, als ob der ganze Mensch durch eine Konfliktbrille schaut – selektiv, einseitig, emotional aufgeladen. Das Verhalten wird durch unwillkürliches Handeln bestimmt, das sich dem bewussten Wollen entzieht.
Typische Merkmale sind:
- Schwarz-Weiß-Denken: Die Welt wird in „richtig“ und „falsch“ eingeteilt.
- Starke Emotionen: Ärger, Wut, Ohnmacht dominieren.
- Verlust von Empathie: Die Perspektive des anderen wird nicht mehr nachvollzogen.
- Gedankenschleifen: Immer wieder kreisen die Gedanken um die gleichen Vorwürfe und Zuschreibungen.
Der Konflikt nimmt mehr Raum ein, als er eigentlich sollte – innerlich wie äußerlich.
Konfliktrance entsteht nicht aus dem Nichts. Häufige Auslöser sind Kränkungen, Machtungleichgewichte oder Missverständnisse. Auch nonverbale Signale oder alte Erfahrungen können Trigger sein. Kommt dann noch Stress oder sozialer Druck hinzu, geraten die Beteiligten schnell in einen Zustand emotionaler Reaktivität.
Auch die Dynamik des Konflikts selbst spielt eine Rolle. Friedrich Glasl beschreibt in seinem Modell der Konflikteskalation, wie sich Konflikte schrittweise verschärfen – bis hin zur Selbstzerstörung. Auf jeder Stufe wird der Blick enger, der Ton rauer, die Lösungsmöglichkeiten geringer. Der Mensch funktioniert mehr aus dem Überlebensmodus heraus als aus rationaler Steuerung.
In der Konfliktrance verliert man die Fähigkeit, klar zu kommunizieren. Argumente werden zu Angriffen, Gesten zu Provokationen. Jeder Versuch der Annäherung wird misstrauisch beäugt oder abgewiesen.
Die Folge:
- Kommunikationsabbruch
- Zunehmende Eskalation
- Fehlentscheidungen auf Basis verzerrter Wahrnehmung
- Langfristige Beziehungsbrüche
Besonders problematisch ist: Die Beteiligten merken meist nicht, dass sie in der Trance sind. Für sie ist das Verhalten des anderen absurd, ungerecht oder verletzend – und das eigene nur eine Reaktion darauf.
Der Weg aus der Konfliktrance beginnt mit einem Moment der Unterbrechung – einem bewussten Innehalten. Das kann ein Spaziergang sein, ein Gespräch mit einer neutralen Person oder ein klares „Stopp!“ in der Situation.
In der Mediation schaffen wir genau solche Räume:
- Wir verlangsamen das Gespräch.
- Wir spiegeln Aussagen, um Muster sichtbar zu machen.
- Wir ermöglichen Perspektivwechsel, ohne zu bewerten.
- Wir strukturieren den Dialog, damit neue Zugänge entstehen.
Ein Beispiel aus meiner Praxis: Zwei Kollegen, seit Jahren im Clinch, sprechen in der Mediation zum ersten Mal nicht über-, sondern miteinander. Als einer der beiden zum ersten Mal sagt: „Ich hatte Angst, meine Position zu verlieren“, entsteht ein Moment der Echtheit. Die Trance beginnt sich zu lösen – und echte Kommunikation wird wieder möglich.
Konfliktrance ist ein Phänomen, das viele Menschen kennen – ohne es zu benennen. Es ist der Zustand, in dem der Konflikt die Kontrolle übernimmt und das Miteinander aus dem Gleichgewicht gerät.
Wer die Anzeichen erkennt, kann bewusst gegensteuern: durch Reflexion, durch Hilfe von außen, durch strukturierte Gespräche wie in der Mediation.
Denn: Konflikte sind nicht das Problem. Das Problem ist, wenn wir ihnen die Kontrolle überlassen.
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