Alle Ressourcen sind da – die Kunst, sie sichtbar zu machen
Einer der zentralen Grundsätze der Mediation lautet: Die Konfliktparteien tragen die Lösung bereits in sich.
Als Mediatorin gehe ich davon aus, dass die Mediandinnen über alle notwendigen Ressourcen verfügen, um ihren Konflikt eigenständig zu lösen. Was oft fehlt, ist nicht die Fähigkeit zur Lösung, sondern der Zugang zu diesen Ressourcen.
Warum Mediand*innen ihre Lösungen selbst entwickeln können
Konflikte belasten, sie verengen die Wahrnehmung und führen dazu, dass Betroffene sich hilflos fühlen. In dieser Situation wirkt es manchmal so, als ob es keine Optionen gäbe oder als ob der Konflikt zu groß sei, um ihn zu bewältigen. Doch tatsächlich sind die Kompetenzen, Erfahrungen und kreativen Möglichkeiten der Mediand*innen vorhanden – sie liegen nur im Schatten der Eskalation.
Mediation versteht sich deshalb nicht als Reparatur von Defiziten, sondern als ein Rahmen, der das bereits Vorhandene sichtbar und nutzbar macht.
Die Rolle von Mediator*innen
Mediatorinnen sind **Prozessgestalterinnen**, keine Lösungsgeberinnen. Ihre Aufgabe ist es nicht, die „beste Lösung“ zu präsentieren, sondern einen sicheren Raum zu schaffen, in dem die Mediandinnen ihre eigenen Lösungen entwickeln können. Das geschieht durch:
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Struktur: Ein klarer Ablauf, der Orientierung gibt.
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Transparenz: Offene Kommunikation und faire Gesprächsbedingungen.
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Fragen: Fragen, die Perspektiven erweitern und neue Sichtweisen ermöglichen.
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Wertschätzung: Die Anerkennung, dass jede Partei ihre Wahrheit hat und ihre Ressourcen einbringen kann.
So werden Stärken freigelegt, die im Konflikt verschüttet sind – etwa Empathie, Kreativität, Verhandlungsgeschick oder schlicht die Fähigkeit, zuzuhören.
Ein Beispiel aus der Praxis
Zwei Nachbarinnen geraten seit Monaten in Streit: Die eine fühlt sich durch das Spielen der Kinder im Hof gestört, die andere fühlt sich von der ständigen Kritik persönlich angegriffen. Vor Beginn der Mediation scheinen beide überzeugt, dass eine Lösung nur durch Regeln „von oben“ – etwa durch die Hausverwaltung – möglich sei.
Im Gespräch wird deutlich: Die eine Nachbarin hat viel Erfahrung darin, Kinder kreativ zu beschäftigen; die andere kennt sich bestens mit der Organisation von Gemeinschaftsflächen aus. Anstatt also über Verbote und Beschwerden zu sprechen, entwickeln beide die Idee, feste Spielzeiten zu vereinbaren und gemeinsam eine kleine Spielecke im Hof zu gestalten.
Die Lösung wirkt auf den ersten Blick simpel – doch entscheidend ist: Sie kam nicht von außen, sondern aus den eigenen Ressourcen der Beteiligten. Durch die Mediation konnten diese Ressourcen sichtbar gemacht und nutzbar werden.
Selbstwirksamkeit als Schlüssel
Wenn Mediand*innen spüren, dass sie selbst die Lösung geschaffen haben, stärkt das nicht nur die Akzeptanz der Vereinbarung, sondern auch das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit. Mediation ist daher mehr als ein Werkzeug zur Konfliktlösung – sie ist ein Lernfeld für Selbstwirksamkeit.
Fazit
Mediation lebt von der Überzeugung: Alles, was zur Lösung gebraucht wird, ist bereits da.
Die eigentliche Kunst der Mediator*innen besteht darin, diesen Schatz zu heben.