Jahrzehnte hatte ich angenommen, die umgekehrte Version „Non scholae sed vitae discimus“ sei die richtige Version. Das hatten uns die Lehrer immer als historische Tatsache vermittelt (besonders in dem humanistischen altsprachlichen Gymnasium, das ich besuchte). Tatsache ist, dass die in der Überschrift dargestellte Form richtig ist (siehe hier), auch wenn man uns das verheimlicht hat und die heutigen Lehrer das immer noch verheimlichen (oder wirklich nicht besser wissen).
Jedenfalls wurde ich an diesen Spruch (in der historisch richtigen Form) erinnert, als ich die letzten Wochen mit meinem Sohn, der vor dem Abitur steht, Mathematik und Physik geübt habe. Jetzt kann ich wieder Vektor-Rechnung und ähnliche Abartigkeiten (auch wenn mir das in der Schule nie schwer gefallen ist). Nur habe ich bei dieser Gelegenheit bemerkt, dass ich in der Tat seit meinem Abitur – und das ist nun fast 40 Jahre her – nie wieder damit zu tun hatte und auch nie die Notwendigkeit bestand, mich damit zu beschäftigen. Ein klarer Beweis, dass hier wirklich nur für die Schule gelernt wird (lernen, wiederholen, vergessen). Gleiches gilt für Physik (die spezielle Relativitätstheorie). Diejenigen, die ein naturwissenschaftliches Fach studieren wollen, lernen das ganze an der Universität sowieso nochmal. Die anderen tun gut daran, das alles zu vergessen, weil sie es nie mehr brauchen, bis ihre Kinder wiederum so alt sind, dass sie das in der Schule durchnehmen.
Es gibt auch kaum einen Lehrer, der in der Lage ist, den Schülern zu erklären, wozu sie das, was sie da lernen, in ihrem späteren Leben brauchen. wahrscheinlich können sie es auch nicht, weil in der Tat jeglicher Bezug zum Leben der Schüler fehlt. Könnten sie es, hätte der Spruch Senecas in der verfälschten Schulversion ja sogar einen Sinn. Nur das einzige Argument, das mit Mathematiklehrer bisher genannt haben, ist das, dass die (höhere) Mathematik dazu diene, das logische Denken zu lernen. Das ist ein richtiges Killerargument. Gibt es keine andere Möglichkeit, logisches denken zu üben? Brauche ich dazu Mathematik?
Ähnlich geht man mit Literatur im Fach Deutsch um. Ich finde es gut und notwendig, dass im Deutschunterricht auch Literatur gelesen wird. Ob es allerdings dann (für das Leben nach der Schule) zielführend ist, die Literatur dann bis zur Unkenntlichkeit durchzukauen und bis in die letzten Ecken auszukehren, ist mehr als fragwürdig. Bringt den Kindern doch die Freude an der Literatur und an schönen Formulierungen bei anstatt sie mit der Textanalyse zu quälen und ihnen den Spaß an Literatur zu vergällen!
Es fehlt heute bei uns eigentlich ein gesellschaftlicher Diskurs über die Frage, was Abiturienten in der heutigen Zeit wissen sollten, wenn sie die Schule verlassen. Sicherlich gehören Deutsch und Literatur dazu, aber in der Form, dass man den Schülern die Freude daran beibringt. Ansonsten muss sich doch die Rolle der Schule ändern im Informationszeitalter. Wichtige Fähigkeiten, die heute ein „must be“ darstellen, sind das richtige Suchen und Finden von Informationen, Bewertung der Informationen und die Präsentation der Ergebnisse. Klar gehört Lernen auch dazu, aber auch Softskills, die in der Schule heute nur nebenher gelehrt werden (weil auch vielen manchen Lehrern diese Softskills selbst fehlen. Und bitte noch eins, lasst nicht die Lehrer über Lehrinhalte entscheiden!
Die (höhere) Schule soll die Schüler vor allem dazu befähigen, zu entscheiden, was sie denn an der Universität „sowieso nochmal“ lernen wollen. Dazu müssen sie aber Erfahrungen machen. Wenn man ihnen alles das, was für Ihr persönliches nachschulisches Leben (scheinbar) unnötig war, vorenthalten würde, würde man ihnen Chancen nehmen und nur noch glattgebügelte Einheitsmenschen heranbilden, wie es ohnhin schon zu viele gibt.
Aus dem Angebot der Schule das herauszupicken, was einem besonders liegt und all das andere TROTZDEM zu bewältigen – auch das ist eine Schule fürs Leben, denn das Leben ist kein Ponyhof.
„Wichtige Fähigkeiten, die heute ein “must be” darstellen, sind das richtige Suchen und Finden von Informationen, Bewertung der Informationen und die Präsentation der Ergebnisse.“ Ich stimme zu, aber da bin ich nicht der Einzige: Das alles, noch dazu verbunden mit Gruppenarbeit, sind inzwischen Lerninhalte, die bereits in der Grundschule vermittelt werden – und damit meine ich nicht Schulen mit pädagogischem Sonderweg sondern z.B. die Regelgrundschule in Baden-Württemberg.
Sie können mir übrigens glauben, daß das was man in der Schule als Mathematik bezeichnet, bereits im ersten Semester nicht mehr ausreicht. Da gibt es noch viel mehr. Und ich gehe davon aus, daß das in anderen Studienfächern genauso ist.
„Und bitte noch eins, lasst nicht die Lehrer über Lehrinhalte entscheiden!“ – sondern wen? Etwa die Eltern?
Juristen, die damit kokettieren von Mathematik keine Ahnung zu haben sind meine persönlichen Hassfiguren. Einfach widerlich …
“Non scholae sed vitae discimus” formuliert ein Postulat, und das hat – natürlich – auch Seneca nicht anders gemeint (sondern im Gegenteil beklagt, dass zu seiner Zeit noch nicht so sei).
Ich kokettiere nicht damit, von Mathematik keine Ahnung zu haben. Ich frage mich nur, was an mathematischen Kenntnissen wir für unser Leben brauchen, wenn wir nicht gerade Mathematik oder Physik studieren.
Richtig! Nur ist die Schule heute genauso meilenweit von der Erfüllung dieses Postulats entfernt wie damals!
Entscheiden sollen auch nicht die Eltern. Ich habe geschrieben, dass ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs darüber stattfinden sollte.
Ist demnach die Schule nur eine Orientierungsstufe für die Universität?
Auf der Stufe der Regelgrundschule Baden-Württemberg ist die Pädagogik dann offenbar auch stehengeblieben. Wir müssen uns doch wirklich fragen, ob das (hirnlose) Lernen von Faktenwissen angesichts der überall und jederzeit abrufbaren Information noch sinnvoll ist. Es ist doch viel wichtiger, Grundstrukturen zu kennen anstatt sie im Einzelnen einzuüben. Ich habe das bemerkt, als ich Vektorrechnung nochmals lernen musste (um sie meinem Sohn erklären zu können). Dieses Wissen kann man sich schnell aneignen, wenn man im Internet recherchiert. Ich muss nur Wissen, dass es sowas gibt. Mehr nicht!
Klar ist das Leben kein Pnyhof. Ist das eine Rechtfertigung dafür, Kinder mit überflüssigem Ballast vollzustopfen (lernen, abfragen, vergessen)? Mit gleichem Recht könnten auch die juristischen Fakultäten verlangen, dass die Grundzüge des Rechts konkret bereits in der Schule gelehrt werden, wie z.B. Strafrecht, Schuldrecht etc.! Dann könnte im Jurastudium viel intensiver gelehrt und gelernt werden. Und das wäre sogar Wissen, das einem im täglichen Leben nützlich ist.
„Ich frage mich nur, was an mathematischen Kenntnissen wir für unser Leben brauchen, wenn wir nicht gerade Mathematik oder Physik studieren.“
Darauf fallen mir gleich 2 Antworten ein:
1. Mathematische Kenntnisse braucht man nicht nur für das Studium der Mathematik oder Physik. Sondern auch für:
– Ingenieurwissenschaften, Informatik, Chemie (offensichtlich)
– Biologie, Medizin, Soziologie, Psychologie (statistische Begriffe und Methoden)
– Volkswirtschaft (z. B. die Grenznutzentheorie basiert auf Begriffen der Differentialrechnung), Betriebswirtschaft (z. B. lineare Gleichungen bei der Optimierung von Betriebsabläufen)
Alle diese Studenten müssen auch verpflichtende Mathematikvorlesungen besuchen.
Jura, und die diversen Literatur- und Kunststudiengänge, sind insofern eher eine Ausnahme als die Regel. Wobei man darüber durchaus diskutieren könnte. Juristen befassen sich viel mit Wahrscheinlichkeiten und logischen Schlussfolgerungen, da wäre es schon sinnvoll, sich auch mit den theoretischen Grundlagen dieser Begriffe zu befassen.
2. Ein gewisses Verständnis mathematischer Konzepte (Aussagenlogik, Beweismethoden, Mengen, Vektoren, Wahrscheinlichkeiten) gehört einfach zur Allgemeinbildung. Zum einen, weil es sich hierbei um ganz wesentliche Errungenschaften des menschlichen Geistes handelt, genauso wie Literatur und Kunst! Zum anderem, weil heute Statistiken (wieder etwas aus der Mathematik) in vielen Bereichen des täglichen Lebens – und auch in der Politik- eine große Rolle spielen.
Zu 2) Da stimmen wir vollkommen überein. Es sit nur die Frage, wie weit man im Lehrplan hier in die Einzelheiten gehen muss oder ob die Kenntnis der Konzepte nicht ausreicht.
Zu 1) Für all diese Berufe brauchen Sie auch juristische Kenntnisse, ohne dass Recht ein Lehrfach in der Schule ist. Sie brauchen dort auch Kenntnisse in Kommunikation, ohne dass das im Lehrplan steht. Man kann diese Liste noch weiterführen. Was muss also jemand, der Abitur hat, können und wissen? Hierüber sollte diskutiert weren (vor allem anstatt immer neue Korrekturen am Schulsystem in orgaisatorischer Hinsicht vorzunehmen). Ich weiß, dass meine Meinung nicht die alleinsseligmachende ist. Aber hier sollte ien gesellschaftlicher Konsens gefunden werden, der nicht allein von den Lehrern bestimmt wird, wie das bisher der Fall ist.
Zu 1)
Zum einen:
Ja, juristische Kenntnisse sind bei der Ausübung der Berufe sicher von Nutzen, Jura ist aber kein Grundlagen- oder Methodenfach für diese Disziplin. Das sollte man ein bisschen unterscheiden.
Zum anderen:
Ich weiß nicht, wie das im Saarland ist, aber hier in Bayern gab und gibt es ein Fach „Wirtschaft und Recht“, in dem auch Grundbegriffe des Rechts vermittelt werden. Z. B. ein Auszug aus dem aktuellen Lehrplan der 11. Klasse der G8:
„WR 11.3 Grundlagen unserer Rechtsordnung (ca. 6 Std.)
…
WR 11.4 Strafrecht (ca. 6 Std.)
…
WR 11.5 Rechtstechnische Grundlagen (ca. 8 Std.)
Bei der selbständigen Analyse und Anwendung von Rechtsnormen arbeiten die Schüler vor allem mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Dabei lernen sie, Sachverhalte strukturiert darzustellen und einzelne Tatbestände abwägend zu erörtern. Diese Fertigkeiten ermöglichen ihnen das Erschließen auch unbekannter Rechtstexte. Bei den Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung greifen die Schüler auch auf ihr Wissen aus den vorangegangenen Jahrgangsstufen über den Vertragsschluss mit Minderjährigen zurück.
strukturierender Überblick über Systematik und Aufbau des Bürgerlichen Gesetzbuches, insbesondere über „Einzelne Schuldverhältnisse“
grundlegende juristische Arbeitstechniken: Zitierweise, Normenanalyse, Normenverknüpfung
Anwenden der Subsumtionstechnik anhand von Ansprüchen aus unerlaubten Handlungen
Erarbeiten des Abstraktionsprinzips anhand der Kaufhandlung
Anwenden des Abstraktionsprinzips: z. B. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung bei Unwirksamkeit des Verpflichtungsgeschäfts
WR 11.6 Eigentumsordnung (ca. 7 Std.)
…“
Das klingt doch gar nicht sooo schlecht, oder?
Rechtliche Prinzipien haben wir seinerzeit nicht nur in „Wirtschaft und Recht“, sondern auch in Latein behandelt, dort war „römisches Recht“ ein Schwerpunkt. Auch wieder so ein Fach, dessen Nutzen für die Allgemeinbildung viele nicht einsehen…
Zum dritten aber noch:
Ich würde zu bedenken geben, dass mathematisches Wissen gegenüber dem juristischem Wissen den Vorteil einer deutlich größeren Halbwertszeit hat, und auch außerhalb Deutschlands seinen Wert behält.
„Gerfried Braune Says:
Februar 20th, 2012 at 08:39
Ich kokettiere nicht damit, von Mathematik keine Ahnung zu haben. Ich frage mich nur, was an mathematischen Kenntnissen wir für unser Leben brauchen, wenn wir nicht gerade Mathematik oder Physik studieren.“
Schade, dass der Post schon so alt ist, aber bei der Wahrscheinlichkeitsrechnung in ‚DNA-Fragen‘ werden zu Lasten des Beschuldigten gravierende Rechenfehler in Kauf genommen, weil falsche Voraussatzungen angenommen werden.