Für Mediatoren ist es wichtig, die vielen Denkfehler zu kennen, die zu einer verzerrten Wahrnehmung führen, Einer der vielen Irrtümer ist der „Self-Serving Bias“ oder „selbstwertdienliche Verzerrung“.
Typisches Beispiel ist, dass von CEO’s gute Bilanzen immer auf die eigene Leitung zurückgeführt werden und schlechte Bilanzen auf das wirtschaftliche Umfeld, die starke Konkurrenz oder die Mitarbeiter und vieles mehr. Schlechte Ergebnisse schreibt sich keiner auf die Fahne. Lesen sie einmal Geschäftsberichte, sie werden das bestätigt sehen.
Das geht uns doch bereits in der Schule so. Eine Eins ist allein unser Verdienst, wir haben gelernt und alles gekonnt. Schlechte Noten lagen daran, dass die Aufgaben besonders unfair oder schwer waren oder sonstige externe Umstände. Selbst Professoren sind von dieser verzerrten selbstwahrnehmung nicht gefeit. Gute Leistungen ihrer Studenten beziehen sie auf sich selbst, die schlechten auf externe Umstände, wie etwa Faulheit der Studenten.
Dieser Effekt wurde in vielen wissenschaftlichen Experimenten nachgewiesen. So sollten zum Beispiel die Teilnehmer an einem Experiment eine Aufgabe zur Messung der Kreativität bearbeiten, entweder zusammen mit einem Freund oder mit einem Fremden. Nach Beendigung der Aufgabe erhielt jeder Teilnehmer Rückmeldung über den Erfolg, den seine oder ihre Gruppe in Bezug auf eine große Normstichprobe erzielt hatte. Unabhängig von der tatsächlichen Leistung erhielt die Hälfte der Teilnehmer einer Erfolgsrückmeldung (ihnen wurde gesagt, ihre Leistung sei besser als die von 93 % der Normstichprobe); die andere Hälfte erhielt eine Misserfolgsrückmeldung (ihnen wurde gesagt, ihre Leistung sei schlechter als die von 69 % der Normstichprobe). Alle Teilnehmer sollten dann auf einer Skala von eins (der andere Teilnehmer) bis zehn (ich selbst) angeben, wer ihrer Meinung nach mehr Verantwortung für das Testergebnis trug. Teilnehmer, die zusammen mit einem Fremden die Aufgabe bearbeiteten, attribuierten die Erfolge mehr auf sich selbst als die Misserfolge. Wenn die Teilnehmer jedoch mit ihren Freunden als Partnern zusammengearbeitet hatten, waren ihre Attributsionen bei Erfolg und Misserfolg ausgeglichener. (Aus “Psychologie“ von Richard J. Gerrig und Philip G. Zimbardo).
Die selbstwertdienliche Verzerrung hat noch andere Auswirkungen. Sie führt noch dazu, dass die Einschätzung dessen, was als gerecht oder fair erachtet wird, dass auch die Einschätzung dessen, was als gerecht erachtet wird, bei Verhandlungspartnern stark abweicht. Ein einfaches Beispiel: fragt man Eheleute nach ihrem Anteil an der Hausarbeit, so ergibt in der Regel die Summe mehr als 100 %. Weiter führt diese Verzerrung dazu, dass man der Meinung ist, dass die Mehrheit der Personen die gleiche Entscheidung treffen würde.
Ein Mediator, der diese selbstwertdienliche Verzerrung bei den Medianten wahrnimmt (fast jede Mediation wird durch diese Verzerrung beeinflusst), kann darauf eingehen. Er kann den Medianten diese verzerrte Wahrnehmung erklären. Er kann auch darauf einwirken, dass objektive Maßstäbe zur Bewertung der Ergebnisse herangezogen werden.
Ich finde Frauen seltsam, die nicht berufstätig sind, aber von ihren Männern Mitwirkung bei der Hausarbeit erwarten, nachdem sie aus dem Büro oder der Fabrik gekommen sind. Diese Vorwurfsmuster findet man wiederkehrend in traditionellen Familien. Wenn Männer dann ihren Anteil höher darstellen, als er tatsächlich ist, steckt weniger eine Selbstwertkorrektur dahinter, als vielmehr die schlichte Notlüge, weil die tatsächlichen Argumente nicht gehört oder sogar belächelt werden („Er könne ja wenigstens mal einen Handschlag tun, aber nein, nach der Arbeit legt er sich auf die Couch und lässt sich wie Pascha bedienen“). Dass er für den gesamten Unterhalt aufkommt, scheint keine Rolle zu spielen, wogegen Frauen ihre Verdienste gern als „multitalentierte Familienmanagerin“ hochspielen – an dieser Stelle stimmt das Beispiel mit der Realitätsverzerrung wieder.